Text: Eva Slunečková

Die Karlsbader Region ist nicht allein durch Oblaten, Quellen und flanierende Kurgäste gekennzeichnet.   Es handelt sich auch um ein Gebiet mit der am wenigsten gewürdigten Architektur, einem unterschätzten Design, mit vielen unbekannten Skulpturen und weiteren interessanten Anregungen zu Ausflügen. Hier sind einige bewährte Tipps für meine Lieblingsausflüge.

Der Schlossturm

Cafés mit Specialty Coffee gibt es in Karlovy Vary immer noch zu wenig. Umso größer ist die Freude, wenn neben einem guten Kaffee auch ein originelles Interieur entsteht. Die herrliche Außenterrasse mit ihrem Ausblick auf die historischen Altstadt ist nur noch die Kirsche auf dieser „Jugendstiltorte“. Der Schlossturm vereint das interaktive Museum des Karlsbader Badewesens und das Café mittels der Innenarchitektur des Architekten Jan Lebl, obendrein mit einem Kaffee aus der lokalen Rösterei City Roasters.

Schlossturm (Zámecká věž), Zámecký vrch 431/2, Karlovy Vary

Silverboy Glamping bei Toužim

Hinter der atypischen Unterkunft im Tiny House Silverboy stehen Barbora, Václav und Renata Páník und ihre familiengeführte Ökofarm. Dieses silberne Appartement auf vier Rädern finden Sie inmitten von Nichts.   Genauer gesagt, auf der Anhöhe einer Wiese, am Rande eines Wäldchens und mit einem Ausblick auf die weidenden Kühe sowie auf einen Teich mit der reizvollen Ruine einer Kirche. In einem Gebiet mit sehr dunklem Himmel, das zu den günstigsten Orten in Böhmen für die Bobachtung der Sterne gehört. Die hiesige Hängematte dient hierzu als ideale Basis, und sicher eignet sie sich auch als Regenerierungspunkt nach der Rückkehr von einem Ausflug in das unweit gelegene Toužim oder in das Kloster Teplá, wohin ein alter Pilgerpfad führt.

Silverboy, Nežichov, Toužim

Die Stadtgalerie Karlovy Vary

Bevor Sie den Blick, sich eine langweilige Besichtigung vorstellend, abwenden, versuche ich, Sie anhand einiger wundervoller Originale neugierig zu machen. Sie finden hier nämlich relativ wertvolle Werke wie den Mann mit Hut von Josef Čapek (1914), Zirkus von Bohumil Kubišta (1911), Funde am Strand von Jindřich Štýrský (1927) oder Handflächen von Květa Válová (1983). Und das ist schon eine Überlegung wert!

Stadtgalerie Karlovy Vary, Stará louka 346/26, Karlovy Vary

Gedenkstätte des Roten Turm des Todes

Ursprünglich handelte es sich um eine Diplomarbeit an der Fakultät für Architektur der Tschechischen technischen Universität, in welcher sich die Architektin Tereza Kabelková im Rahmen des Studiums COSMO mit der bewegten Geschichte ihrer Familie auseinandersetzte. Ihr Großvater war nämlich in den 50er Jahren gerade in Dolní Žďár inhaftiert, im unrühmlich bekannten Roten Turm des Todes. Dorthin schickte das Regime seine größten Feinde, die hier radioaktives Erz aus den unweit gelegenen Uranbergwerken sortierten. Die Strahlung war häufig so stark, dass sie bei zahlreichen Häftlingen fatale Beschwerden verursachte. Im Turm befindet sich eine Gedenkstätte mit den Aussagen Überlebender, damit sie und ihr Leid nie in Vergessenheit geraten. Der bedeutende Ort der tragischen Vergangenheit steht gemeinsam mit weiteren fünf Standorten auf der Liste des Welterbes der UNESCO.

Dolní Žďár 103, Ostrov

Das Kloster Nový Dvůr (Neuhof)

In der Welt der Architektur ist John Pawson so etwas wie ein Gott des zeitlosen, jedoch nie langweiligen Minimalismus und perfekter Kompositionen. Daher ist es ganznatürlich, dass er eine Kirche auch selbst entwarf. Es handelt sich um die Abtei Nový Dvůr, die sich in der Gemeinde Dobrá Voda bei Toužim befindet und wirklich herrlich ist. Die reinen Formen, die ausgedehnten Räumlichkeiten, das allgegenwärtige Weiß und die Menge des Tageslichtes bilden eine Harmonie, die das Herz eines jeden Liebhabers der Ästhetik höher schlagen lässt. Und jetzt eine traurige Nachricht – da im Kloster die Trappisten ihren Sitz haben, gelangen Sie nur hinein, sofern Sie ein Mann und bereit sind, beim Aufenthalt strenge Regeln einzuhalten. Die Mönche ermöglichen nur kurzzeitige Aufenthalte. Dennoch verkaufen sie in ihrem Krämerladen eigenhändig gefertigte Produkte.  Halten Sie kurz an, um hier zumindest Senf oder Marmelade zu kaufen, denn beides ist wirklich gut!

Abtei Muttergottes, Dobrá Voda 20

Die Galerie Display 

In Karlovy Vary fehlte lange Zeit eine Räumlichkeit für die Gegenwartskunst. Unlängst wurde diese Lücke durch die Galerie Display, eine Filiale der Prager Galerie Magnus Art von der J&T Bank, gefüllt.   Sie hat ihren Sitz in einem der schönsten Jugendstilhäuser, im Gebäude der ehemaligen Sparkasse von Otto Stainl, vom Sprudel lediglich einen Wurf mit dem „Trinkbecher“ entfernt. Den Künstlern bietet sie zeitweilige Wohn- und Schaffensmöglichkeiten in Form eines sog. Residenzaufenthaltes, und so spiegeln sich die Karlsbader Spezifika direkt in den ausgestellten Werken wider – unter anderem in Form der Versteinerung wie im Falle der Künstlerin Lucie Králík Rosická. Die Galerie Display ist von Freitag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr geöffnet.

Galerie Display, Divadelní náměstí 243/1, Karlovy Vary

Die Vasen von Dominika Petrtýlová

An den hochmütigen Ritter aus dem Grandhotel Pupp erinnernder Stuck, ein Herz in der Kartusche als Symbol des Kurhauses Rotes Herz und ein Frosch mit einer Fackel, der den Eingang zum Gebäude der Stadtsparkasse bewacht. Das sind drei Motive, die sich an den Fassaden im Zentrum von Karlovy Vary die Glasdesignerin Dominika Petrtýlová auserwählte. Alle Motive malte sie dann von Hand direkt auf Vasen aus rotem Glas. Da in ihnen die Geschichte der Gegenwart begegnet, nannte sie die Kollektion Archivases.

dominikapetrtylova.com, @petrtylova_glass

SORELA in Ostrov und in Horní Slavkov 

Der Sozialistische Realismus, auch unter der Abkürzung SORELA bekannt, wird in der Regel mit zahlreichen negativen Emotionen in Verbindung gebracht. In den 50er Jahre machte sich den Stil monumentaler Bauwerke mit historisierenden Elementen und großzügigen Skulpturengruppen das sozialistische Regime zu eigen und präsentierte ihn mittels der großartigen Städteplanung zur allgemeinen Bewunderung seiner Macht. In das Schaufenster des Sozialismus gehörten unter anderem Ostrov nad Ohří und das Wohngebiet in Horní Slavkov. Die für die Bergleute aus den Uranbergwerken errichteten Städte bewahrten dank des Architekten Jaroslav Krauz bis heute ihren einzigartigen Geist der bittersüßen Vergangenheit, die erst darauf wartet, gewürdigt zu werden.

Haus der Kultur in Ostrov, Mírové náměstí 733, Ostrov nad Ohří

P.S.: Autor der monumentalen Skulpturengruppe auf der Anhöhe ist einer der bekanntesten „Mukl“ (Muži Určení K Likvidaci/ = zur Liquidation bestimmte Männer) aus dem Roten Turm des Todes, der akademische Bildhauer Jaroslav Šlezinger. Zu ihrer Erschaffung wurde er durch das Regime gezwungen, während er heimlich zugleich den Kreuzweg schuf, der sich bis heute in der Kapelle St. Florian im Klosterareal Ostrov befindet. Von seiner tragischen Geschichte handelt das Buch Verwehte Spuren (Zaváté šlépěje). Das Schicksal des Bildhauers Šlezinger, welches sehr lesenswert ist.

Die Porzellanfabrik Pirkenhammer

Deutsch Pirkenhammer, tschechisch Březová, ist ein Städtchen, das nur wenige Kilometer von Karlovy Vary entfernt liegt. Und den gleichen Namen trug auch eine der ersten Porzellanfabriken, die vor 220 Jahren der Geschäftsmann Friedrich Höck gründete. Einen Moment des Ruhmes genoss die Fabrik im Jahre 1912, als sie ein Geschäft mit jener britischen Gesellschaft schloss, welche für die Ausstattung der Titanic zuständig war. In allen Schiffsrestaurants wurde so das Essen auf Geschirr mit den beiden gekreuzten Hämmern und einer Krone im Wappen gereicht. Nach Meinung der Historiker stellte Pirkenhammer speziell für die Titanic an die zehntausend Stück Luxusgeschirr mit dem Motiv grüner Girlanden und mit feiner Vergoldung her.  Zum Glück endeten nicht alle auf dem Grund des Ozeans. In Březová wurden einige Stücke zusätzlich angefertigt, die heute im Museum der Stadt Karlovy Vary zu sehen sind.

Museum Karlovy Vary, Nová louka 23, Karlovy Vary

Der Park der Geschichte in Aš

Ein Park muss nicht immer Bänke und viel Grün bedeuten. In Aš hatte man größere Ambitionen! Die Architekten vom Studio SOA entwarfen in Zusammenarbeit mit dem Atelier KONCEPT einen Erlebnispark zur Erinnerung an die Vergangenheit, zur Begleitung des Besuchers durch ihre Entwicklung. Es handelt sich nicht um einen klassischen Lehrpfad, sondern um eine interaktive Erzählung – von der größten Blütezeit, die der Goethe-Platz repräsentiert, über den Niedergang in Zeiten des Sozialismus, bis hin zur wilden Entwicklung der 90er Jahre, wenn der Pfad in den Waldpark nahe der Straße Okružní mündet. Bestandteil sind interaktive Punkte, die Ihnen spannende Geschichten erzählen. Unter anderem von der Auflösung des größten Friedhofs in Aš, wo die Gründer der Stadt, Fabrikanten und Bürgermeister ruhen, von der Rekonstruktion der ältesten Steinbrücke in Aš, der evangelischen Dreifaltigkeitskirche.

Park der Geschichte (Park historie), U Radnice, Aš

Die Karlsbader Skulptur des Hirschs 

Ungeachtet der Bezeichnung befindet sich auf dem berühmten Hirschsprung ein ganz anderer Hörnerträger. Auf den Felsen drängt sich eine Gämse, während der Originalhirsch (beide Skulpturen sind von August Kiss), der sich erst nach der Fertigstellung als zu groß erwies, seit dem Jahre 1932 im Garten des Hotels Richmond verborgen ist. Auf ihm lässt sich jedes Karlsbader Kind fotografieren, sodass auch Sie ihn auf das Programm setzen sollten.

Skulptur des Hirschs, Slovenská 567/3, Karlovy Vary,  Koordinaten: 50.2168008N, 12.8917828E.

Die Goethe-Aussichtswarte (Goethova vyhlídka)

Dieser Aussichtsturm trug alle möglichen Namen. Zunächst Kronprinzessin-Stephanie-Warte, dann Stifter-Warte, Stalin-Turm und zum Ende der 50er Jahre war dann auch Goethe an der Reihe, von dem die Stadt gewissermaßen besessen ist. Beachten Sie im Kurzentrum die Straßenschilder an den Fassaden. Goethe müsste einen Doppelgänger haben, um an all jenen Orten innezuhalten, die sich hier seines Namens rühmen. Zum Aussichtsturm gelangt man vom oberen Teil der Stadt zu Fuß durch den Wald, ferner fährt auch ein Bus, wobei sie auch mit dem Auto direkt hingelangen. Unlängst wurde er saniert, wobei im Ergebnis der Sanierungsarbeiten ein Café und eine Slackline über den Wipfeln der Bäume hinzukamen. Zum Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Aussichtsturm vom alten bekannten Duo Ferdinand Fellner und Hermann Helmer entworfen.

Goethe-Aussichtswarte (Goethova vyhlídka) 244/2, Karlovy Vary

Eva Slunečková @eva.slunecko ist eine freiberufliche Journalistin und stammt aus Karlovy Vary. Die letzten fünf Jahre leitet sie die Zeitschrift für Innenarchitektur, Kunst und Architektur ELLE Decoration, sie hat eine Rubrik zum Thema Innenarchitektur in der Zeitschrift ELLE, wobei sie sich als Beraterin freiberuflich verschiedenen Projekten widmet. Zum Geschehen in der Szene gibt sie den Newsletter Designfilter heraus, für das Design- und Glasunternehmen Lasvit kreiert sie das Magazin Spacial. Unlängst war sie Kuratorin der Ausstellung Made by Fire zum Thema Porzellan, Keramik und Glas aus Tschechien, die in Mailand, Prag und Brünn zu sehen war.